Die Zukunft nicht mit Möbeln von heute vollstellen

„Warum lassen wir so viel mit uns passieren, obwohl wir wissen, dass wir aufstehen sollten?“ Das schicken Markus Metz und Georg Seeßlen ihrer Lesung aus „Freiheitstraum und Kontrollmaschine: Der (vielleicht) kommende Aufstand des nicht zu Ende befreiten Sklaven“ in der FH Urstein am 9.4. voraus. In ihrem neuen Buch geht es um eine Analyse der Gesellschaft in Bezug auf Kontrollmechanismen und wie man diesen womöglich entkommen kann.

Als Mensch der heutigen Gesellschaft hat man sich untergeordnet: Entweder die soziale Kontrolle oder die technische Kontrolle versichern uns, dass alles seine Ordnung hat: Soziale Kontrolle, das kann ein Nachbar sein, der einen unfreundlich daraufhin weist, die Tür nicht so laut zuknallen zu lassen. Es kann aber auch ein Lehrer oder ein Social-Media-Influencer sein, die ihre Zuseher beeinflussen und formen wollen. Die soziale Kontrolle braucht Demütigung und Opfer um zu funktionieren (man wird zurechtgewiesen, ausgelacht, fertiggemacht) – Erfahrungen, wie sie jeder schon gemacht hat. Sie wird meist als unangenehmer empfunden als die technische Kontrolle: Sie ist die Kontrolle von Maschinen durch Menschen und intelligenten Maschinen; sie dient dem Fortschritt, der Sicherheit der Erkenntnis – zumindest wird diese meist so wahrgenommen. Menschen empfinden es als angenehmer, sich Maschinen als Mitmenschen unter zu ordnen. Man liebt die Stechuhr mehr als den Vorarbeiter. Genauso lässt man sich lieber vom Schachcomputer besiegen als von einem menschlichen Gegner. Wenn langsam die soziale Kontrolle durch die technische Kontrolle ersetzt wird, fühlt sich das nach einer regelrechten Befreiung an. Jedoch bemerken wir nicht, dass die soziale Kontrolle bei natürlichen Schamgrenzen haltmacht – die technische Kontrolle ist jedoch lückenlos und total. Sie kennt keine Schamgrenzen und speichert Daten ohne Ende. Was die soziale Kontrolle unscharf macht, sind die im Zweifelsfall zu Gunsten der Beteiligten veränderbaren Rechte. Das macht sie zwar willkürlicher und unfairer, jedoch nicht so drohend ausweglos wie die fortschreitende technische Kontrolle. Wie können wir also diese immer weiterwachsende Gefahr aufhalten? Seeßlen schlägt vor, in einem Akt der Rebellion statt der Kontrolle das eigene Bewusstsein als Maßstab entgegen zu halten: Allein sich unter einen Baum zu setzen und nachzudenken sei schon das poetische Widerstandsbild schlechthin. Man tritt für einen kurzen Moment heraus aus den gesellschaftlichen Zwängen und denkt nach. So könnte eine Gesellschaft in einem anarchischen Zustand ohne Kontrolle von anderen auskommen. Hier endete die Lesung des ersten Kapitels.

Danach lesen die beiden noch eine Passage aus ihrem noch unveröffentlichten utopischen Manifest „Der anarchistische Futurismus oder der futuristische Anarchismus“: Hier geht es vor allem um den Kapitalismus und wie er nicht die Zukunft sein kann. Wie können wir die Zukunft wieder zurückgewinnen? Und von wem müssen wir sie zurückerobern? Seeßlen und Metz setzen den Begriff Geld mit Zukunft gleich, weswegen uns eine Zukunft ohne Geld unmöglich erscheint: „Je mehr Zukunft das Kapital für sich beansprucht, desto weniger bleibt für den Menschen“. Die Zukunft gehört nicht dem Kapital, der Macht, der Belohnung und Bestrafung, der Schuld und Schulden oder der Konkurrenz. Um die Zukunft nicht im Vorhinein zu verderben, wäre es am besten die Zukunft als Begriff und als Wert zu vergessen. So entkäme man der Abhängigkeit von morgen und könnte sich auf die Imagination von heute konzentrieren. Auf die Frage einer Studentin, was man denn nun tun solle, antwortet Seeßlen: „Die Zukunft am besten nicht mit Möbeln von heute vollstellen.“

Markus Metz und Georg Seeßlen nach der Lesung: „Toi, toi, toi“ sagen sie, nachdem ich berichte, ich würde versuchen, die Lesung in meinem Blog zusammenfassen

Die komplizierten Gedanken werden bei Seeßlen und Metz fast poetisch vorgetragen; was im ersten Augenblick pessimistisch klingt, sind notwendige Gedankengänge, die Systeme beschreibbar machen. Erst ein beschreibbares System kann verändert werden. Es herrscht die Notwendigkeit für den „Pessimismus der Analyse als auch für den Optimismus der Tat“. Seeßlen und Metz nehmen in ihren abschließenden Worten vor allem die Künstler in die Pflicht: sie seinen diejenigen, die in Räume vordringen müssen, die noch niemand betreten habe.